Der nachfolgende Text beschreibt die Beobachtungen und Meinungen eines langjährigen Aquarianers und sollen bei der Überlegung einer Besatzplanung in Betracht gezogen werden:
In jüngster Zeit wurde ich auf einen Artikel aufmerksam, der die optimale Geschlechter-Verteilung bei der Pflege Lebendgebärender Zahnkärpflinge (Poeciliidae) behandelte, insbesondere beim Guppy, den Schwertträgern sowohl der Platys und Mollies (Aqualog Terralog News; Nr. 108; S.8 ff; Oliver Helker u. Peter Merz: “Männerüberschuss – Frauenüberschuss – Paarweise ??!! Wie hält man Guppy, Platy und Co. richtig?”). Unter dem Strich sagte der Artikel aus, das aufgrund von Beobachtungen es bei diesen Fischen von Vorteil sei, sie im Verhältnis 2:1 zu halten, also doppelt so viele Männchen wie Weibchen. Da durch die hohe Anzahl von Männern diese ständig interagieren müssen (Komentkämpfe, Imponieren, Rangkämpfe) kommen sie gar nicht dazu, ständig die Weibchen zu bedrängen, zu verfolgen und dadurch einem “permanenten Streß” auszusetzen. In diesem Artikel wurde auf die herkömmlichen Empfehlungen hingewiesen, die besagen, im umgekehrten Verhältnis die Fische zu halten, also 1:2 – doppelt so viele Weibchen wie Männer.
Da ich seit einiger Zeit Poecilia wingei “Tiger” pflege und züchte, konnte ich meine eigenen Beobachtungen machen und möchte zu den oben gemachten Aussagen Stellung beziehen. Noch zwei Dinge vorab – um den Systematikern unter den Lesern gerecht zu werden: Soweit ich weiß sind besagte Pfleglinge, Poecilia wingei “Tiger” keine reinen Endler-Guppies, um nämlich das Orange des Endlers weg zu züchten und statt dessen das Gelb zu etablieren wurde angeblich Poecilia reticulata eingekreuzt, was auch in der Bezeichnung zu finden sein sollte – aber: Da die Zuchtform in Größe, Verhalten, Wurfzahl der Jungen und mit dem Endler-typischen schwarzen Seitenfleck dem Endler-Guppy gleichen bleibe ich der Einfachheit halber bei der Bezeichnung P. wingei “Tiger”.
Zweitens ist mir klar, das P. wingei im Verhalten nicht unbedingt mit Schwerträgern, Platys und Mollies zu vergleichen sind und man deshalb auch nur bedingt die Beobachtungen übertragen kann. Dies wurde jedoch auch in dem Artikel so ausgesagt. So ist es natürlich selbstverständlich, das man Schwertträgern ein beachtlich großes Becken anbieten soll, wenn man mehrere Männchen pflegen will, und das gilt auch für die Wildform der Segelkärpflinge, die auch eine beachtliche Größe erreichen. Schon deshalb braucht man da gar nicht mit 60cm-Becken anfangen. Wahrscheilich renne ich da offene Türen ein, wenn ich darauf hinweise, das Lebendgebärende nicht unbedingt anspruchslose Pfleglinge sind, nur weil sie sehr hart im Nehmen sind und im Handel zu einem “Massen-Verbrauchs-Artikel” degradiert wurden.
Ich halte Poecilia wingei in zwei gemischten Gruppen in jeweils 54 l-Becken. In einem mit deutlichem Weibchen-Überschuss, in dem anderen Becken umgekehrt, also mit deutlich mehr männlichen als weiblichen Tieren. In erster Linie pflege ich Guppies als Lebendfutter-Lieferant für meine Streifenhechtlinge (Aplocheilus lineatus “Gold”), doch dann und wann ziehe ich einige Würfe zum Verkauf bzw. der Erhaltung meines Zuchtstammes groß. Dabei fiel mir auf, das das Geschlechter-Verhältnis der Würfe immer ungefähr 1:1 ist, bei Wurfgrößen zwischen 10 und 15 Tieren. Jetzt könnte man behaupten, das der Feinddruck auf männliche Tiere aufgrund ihres bunten und auffälligen Habitus größer ist – aber ich persönlich glaube das nicht, zum einen sind beim Endler sowohl die männlichen als auch die weiblichen Tiere unglaublich flink und agil, und vermutlich die Männchen aufgrund ihrer geringeren Größe nochmal einen Zacken flinker. Ich gehe davon aus, das der Feinddruck auf beide Geschlechter und somit die verteilung im Schwarm gleich ist.
Ich stimme mit der Aussage überein, das die Interaktionen der männlichen Tiere mit deren Anzahl im Schwarm zunimmt, jedoch sind bei aller Aktivität der Männer immer einige nicht durch diese gebunden und somit mit den Weiblichen Tieren am Balzen oder diese am Verfolgen, was auf den Beobachter oft so wirkt, als müsse man Mitleid mit den “armen, gestressten” Weibchen haben – aber da sollte man die Tiere nicht “vermennschlichen” bzw. moralische oder ethische Wertmasstäbe ansetzen, dadurch wird man seinen Pfleglingen nicht gerecht! Auch wenn man den Schwarm mit wenigen Männchen pflegt wird den Weibchen nicht “langweilig”. So tragen auch die Weiblichen Tiere Rangkämpfe untereinander aus, dafür dann aber die Männer entsprechend weniger – was aber nicht bedeutet, das sie sich dann zwangsläufig nur noch um die Weibchen kümmerten. Meinen Beobachtungen nach besetzen Männchen kleine Reviere von ungefähr einem Liter Volumen knapp über dem Bodengrund, das sie dann gegen andere Männer verteidigen und Weibchen nur dann anbalzen bzw. diese zu verfolgen, wenn ein Weibchen in dieses “Revier” einschwimmt. Allerdings darf man sich das nicht vorstellen wie bei Cichliden, die das Revier halten und u.U. auch gegen artfremde Tiere verteidigen, es ist wohl mehr so, das diese Reviere sehr flexibel sind, also heute hier und morgen an einer anderen Stelle. Auch besetzen nicht alle Männchen solche Mini-Reviere sondern nur die dominantesten Exemplare des Schwarms, die jüngeren oder schwächeren Männer halten sich mehr in der oberen Beckenhälfte auf und balzen dort die Weibchen an. Aufgrund meiner Beobachtungen bin ich der Meinung, das das Verhältnis der Geschlechter im Schwarm von untergeordneter Bedeutung sind solange man da nicht ins Extrem geht (z.B. zehn Männer pro Weibchen), sondern ist es viel wichtiger, das man die Tiere in möglichst großen Schwärmen pflegt, wodurch sich die Interaktionen “streuen” und somit der “Streß” für das einzelne Tier moderat bleibt. Ich pflege wie oben erwähnt zwei Schwärme in jeweils 60cm-Becken mit jeweils 15 – 20 Tieren.
Das bedeutet, das die Becken (und somit die Schwärme) so groß als möglich gewählt werden sollten – aber das mit den möglichst großen Becken ist ja ein uralter Hut – und andererseits die grundlegende Bedingung in der Aquaristik: So wenig Fisch wie möglich in so viel Raum wie möglich pflegen. Ich bin auf jeden Fall froh, Guppies im Artenbecken halten und beobachten zu können, bei wöchentlichem Teilwasserwechsel (Härte: nicht zu weich und pH-Wert im Neutralbereich) und abwechslungsreicher Fütterung (Trockenfutter füttere ich nur zusätzlich, als Basis frisch geschlüpfte Artemia, als Frostfutter schwarze und rote Mückenlarven und Wasserflöhe) sind diese Tiere sehr schöne, interessante und dankbare Pfleglinge.
Text: FrankyZ – Frank Zöller
Hallo,
ich habe als Dipl.-Biologe eine Frage zur Kreuzbarkeit von Poecilia reticulata (Wild-Guppy) mit P. “wingei”.
Nämlich: sind die F1- und die F2-Hybriden (also die direkten Bastarde und ihre Nachkommen) jeweils auch wieder fruchtbar?
-Kann man also die Hybriden über weitere Bastard-Generationen, z.B. F3 und F4, weiterzüchten?
MfG Thomas
Hallo, Wenn ich die Fachausdrücke Hybride und Bastard falsch benutzt haben sollte bitte ich dies zu entschuldigen. Auch die von Dir in Anführungszeichen gesetzten Artnamen P.wingei lässt mich ahnen, worauf Deine Frage abzielt. Ich kann Dir keine fachlich fundierte Antwort auf Deine Frage geben. Ich gehe aber stark davon aus, das auch die F3 und folgende Generationen fertil sind – womit sie ja auch keine Hybriden sondern Bastarde wären. Die von mir gemachten Beobachtungen sind eine Sache – der ewige Streit über Validitäten von Artnamen und ob der Endler eine eigenständige Art ist oder nicht interessiert mich nur am Rande… Weiterlesen »
Hallo Frank,ich danke Dir für Deine schnelle Antwort! Es ist übrigens wissenschaftliche Ermessensfrage (“Geschmacks-Sache”), und wohl nicht eindeutig zu klären, ob die Form P.”wingei” als eigenständige “Art” angesehen werden kann. Unter anderem schon deshalb, weil es verschiedene Artdefinitionen gibt. Nach der sogenannten “Biologischen Artdefinition” können sich verschiedene, nahestehende Arten zwar eventuell noch kreuzen, wie z.B. Löwe und Tiger, oder Pferd und Esel, aber deren Nachkommen (also z.B. Liger und Maultier) sind dann unfruchtbar. (Die biologischen Fachausdrücke Bastard und Hybride sind übrigens Synonyme, bedeuten also dasselbe.) Ich selbst halte und beobachte seit etwa 23 Jahren einen Wildguppy-Stamm aus Kenia (Naivasha-See), dem… Weiterlesen »