Faszination Aquaristik: Paarungssysteme und Sozialverhalten der Schneckenbuntbarsche im Aquarium

Faszination Aquaristik: Paarungssysteme und Sozialverhalten der Schneckenbuntbarsche im Aquarium
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Schneckenbuntbarsche aus dem Tanganjikasee zählen zu den spannendsten Beobachtungsfischen der Aquaristik: Hinter ihrem oft schlichten Äußeren verbirgt sich ein komplexes Sozialleben. Im vorliegenden Beitrag aus der „Aquaristik“ 2025/1 zeigt Dr. Wolfgang Staeck, wie unterschiedlich Paarungssysteme – vom festen Paar bis zum Harem oder zur Großfamilie – bei verschiedenen Neolamprologus-Arten ausgeprägt sind. Die Beispiele machen sichtbar, warum ein Verständnis dieser Strukturen nicht nur für die artgerechte Haltung, sondern auch für die gezielte Beobachtung im Aquarium entscheidend ist.

Neolamprologus multifasciatus lebt in Großfamilien mit einer größenabhängigen Gruppenhierarchie. Foto: Wolfgang Staeck
Neolamprologus multifasciatus lebt in Großfamilien mit einer größenabhängigen Gruppenhierarchie. Foto: Wolfgang Staeck

Unterschiedliche Paarungssysteme

Die Artenvielfalt der Schneckenbuntbarsche

Obwohl viele Schneckenbuntbarsche unscheinbar aussehen, sind sie empfehlenswerte Aquarienfische, weil sie interessante Verhaltensweisen zeigen und sehr unterschiedliche soziale Strukturen und Paarungssysteme aufweisen (Lein & Jordan 2021, Sefc 2011). Als Paarungssysteme werden die divergierende Art und Dauer des Zusammenlebens der Fortpflanzungspartner in einer Partnerschaft beschrieben. Dabei werden die drei Hauptformen Monogamie, Polygamie und Promiskuität unterschieden. Die Polygamie wird zusätzlich noch in Polyandrie und Polygynie unterteilt.

Von Neolamprologus ocellatus gibt es eine gelbe Standortvariante. Foto: Wolfgang Staeck
Von Neolamprologus ocellatus gibt es eine gelbe Standortvariante. Foto: Wolfgang Staeck

Polygamie und Polygynie

Am häufigsten ist bei Schneckenbuntbarschen die Polygamie, insbesondere in Form der Polygynie („Vielweiberei“), während Polyandrie („Vielmännerei“), d. h., ein Weibchen paart sich mit mehreren Männchen, die jeweils nur mit diesem einen Weibchen sexuellen Kontakt haben, nicht vorkommt.

Bei der Polygynie paart sich ein Männchen mit mehreren Weibchen, die nur mit diesem männlichen Fisch laichen. Es wird also ein Harem gebildet, in dem das revierbesitzende Männchen seine Weibchen beschützt und gegen konkurrierende männliche Artgenossen verteidigt. Ein Beispiel dafür ist Neolamprologus speciosus, eine Art, deren Männchen ca. 5 cm lang werden. Dasselbe Paarungssystem findet sich bei N. stappersi (Pellegrin, 1927), einer ähnlichen Art, für die N. meleagris (Büscher, 1991) als jüngeres Synonym gilt. 

Neolamprologus callipterus (Boulenger, 1906)

Eine Abwandlung der Polygenie findet sich bei Neolamprologus callipterus (Taborsky 1994, Sato & Gashagaza 1997, Schütz & Taborsky 2000, Taborsky 2001). Äußerst ungewöhnlich ist der Größenunterschied zwischen den über 12 cm großen Männchen, die zwölfmal schwerer als die mit 4 cm ausgewachsenen weiblichen Fische sind, weshalb beide irrtümlich als verschiedene Arten beschrieben wurden.

Die Männchen tragen in ihren Territorien leere Schneckenhäuser zusammen, um sie in einer waschschüsselartigen Grube zu sammeln. Weibchen suchen nur zur Fortpflanzung diese Reviere auf und verlassen sie nach Beendigung der Brutpflege wieder ebenso wie die Jungtiere, um im oberen Felsenlitoral zu leben. Sobald die Männchen etwa 10 cm groß sind, bilden sie Schwärme, die gemeinsam auf der Nahrungssuche umherstreifen. Sobald sie die leeren Neothauma-Gehäuse transportieren können, werden sie territorial und bilden einen Harem.

Es gibt einen zweiten männlichen Genotyp, der als Zwergmorphe sogar kleiner als die Weibchen bleibt und als Sneaker bezeichnet wird, weil er sich zum Nachteil des Revierbesitzers als Fortpflanzungs- oder Paarungsparasit fortpflanzt, indem er vor den Weibchen in das Schneckenhaus schwimmt und sich dann an der Paarung beteiligt. Derartige Beispiele für Promiskuität, in denen sich sowohl Weibchen als auch Männchen mit mehreren Partnern paaren, werden auch als Polygynandrie bezeichnet.

Die Polygynandrie

Ein Bespiel für, dass Paarungssystem der Polygynandrie, ist auch Neolamprologus multifasciatus, ein fakultativer Schneckenbewohner, der mit einer maximalen Länge der Männchen von knapp 4 cm besonders klein ist. Die Art lebt in Großfamilien mit einer größenabhängigen Gruppenhierarchie, die kooperative Fortpflanzungsgruppen bilden. Sie entstehen dadurch, dass Jungfische als Brutpflegehelfer im Revier bleiben und die dominanten, fortpflanzungsaktiven Artgenossen bei der Aufzucht der Nachkommen unterstützen (Taborsky 1994, Taborsky & Limberger 1981).

Subdominante Fische zeigen gegenüber größeren Gruppenmitgliedern ein ritualisierte Beschwichtigungsverhalten, mit dem sie die Aggression dominierender Familienmitglieder hemmen. Neolamprologus similis ist eine ähnliche Schwesterart mit derselben Brutbiologie.

Feste Bindung

Bei den Schneckenbuntbarsche, die sich in Monogamie fortpflanzen, besteht zwischen dem Männchen und dem Weibchen eine feste Bindung, und beide beteiligen sich intensiv an der Brutpflege des Nachwuchses. Ein Beispiel dafür ist der kleine fakultative Schneckenbuntbarsch Neolamprologus signatus, der zum Laichen auch in den Gewässergrund gegrabene Höhlen benutzt.

Männchen tragen auf dem Körper und der Rückenflosse ein Streifenmuster, das Weibchen fehlt. Deren Bauchregion, die bei Streitigkeiten in Form einer Befriedungsgeste präsentiert wird, zeigt einen goldenen bis grünvioletten Metallglanz. Dieselbe Brutbiologie hat auch die Schwesterart N. laparogramma.

N. brevis, ein weitere monogamer, aber obligatorischer Schneckenbrüter, zeigt eine bemerkenswerte Besonderheit: Das etwa 4 cm große Weibchen und das größere Männchen dieser paarweise lebenden Spezies bewohnen nämlich dasselbe Schneckenhaus. Bei Gefahr verschwindet zuerst das Weibchen darin und erst dann schwimmt auch das Männchen hinein. Dieses Verhalten führte dazu, dass die Exporteure anfangs unbeabsichtigt ausschließlich männliche Fische verschickten, denn die Fänger vermuteten nicht, dass sich auch noch das Weibchen in demselben Schneckenhaus befindet und begnügten sich damit, nach dem Fang nur einen Fisch aus der Schnecke herauszuschütteln.

Kombination unterschiedlicher Paarungssysteme

Zahlreiche Schneckencichliden haben jedoch gar kein starr festgelegtes Paarungssystem. Ihr Fortpflanzungsverhalten ist den jeweiligen Umweltbedingungen angepasst und wird durch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Fortpflanzungspartner, Schneckenhäuser oder das Nahrungsangebot beeinflusst.

Meist treten alternativ Monogamie oder Polygenie auf: N. ocellatus lebtim See meist paarweise, es besteht aber die Neigung zur Haremsbildung, weshalb sich im Revier eines Männchens auch mehrere weibliche Fische aufhalten können. Das 6 cm große Männchen schwimmt beim Laichen nicht in das Schneckenhaus hinein, sondern gibt die Spermien vor dem Eingang ab, die dann durch eine vom Weibchen durch Ventilationsbewegungen erzeugte Wasserströmung zum Gelege gelangen.

Dieselben Paarungssysteme gibt es beim obligatorischen Schneckenhausbrüter Neolamprologus boulengeri. Dessen Männchen werden sogar 7 cm groß und flüchten deshalb bei Gefahr in Gesteinsspalten.

Schneckenbuntbarsche wirken äußerlich oft unscheinbar, beeindrucken aber durch eine erstaunliche Vielfalt an Paarungssystemen und Sozialstrukturen. Anhand verschiedener Neolamprologus-Arten werden Monogamie, Polygamie (v. a. Polygynie), Promiskuität und Polygynandrie anschaulich erklärt. Deutlich wird, wie stark Faktoren wie Partnerdichte, verfügbare Schneckenhäuser und Nahrungsangebot das Fortpflanzungsverhalten prägen und welche Besonderheiten sich daraus für Beobachtung und Haltung im Aquarium ergeben.

Die beschriebenen Paarungssysteme der Schneckenbuntbarsche zeigen, dass eine reine Betrachtung von Aussehen oder Beckengröße für eine langfristig stabile Haltung nicht ausreicht. Wer ihre sozialen Ansprüche und Revierstrukturen berücksichtigt, kann nicht nur Stress und Fehlverhalten vermeiden, sondern auch ihr volles Verhaltensrepertoire im Aquarium beobachten. Damit werden Schneckenbuntbarsche zu idealen Studienobjekten für alle, die Aquaristik als Kombination aus Tierbeobachtung und verantwortungsbewusster Pflege verstehen.

Lein, E. & A. Jordan (2021): Studying the evolution of social behaviour in one of Darwin’s Dreamponds: a case for the Lamprologine shell-dwelling cichlids. Hydrobiologia 848: 3699–3726.

Sato, T., & M. M. Gashagaza (1997): Shell-brooding cichlid fishes of Lake Tanganyika: their habitats and mating systems. In: Hori, M., M. Nagoshi & Y. Yanagisawa (Hgg.): Fish communities in Lake Tanganyika: 219-240. Kyoto UP, Kyoto.

Schütz, D. & M. Taborsky (2000): Giant males or dwarf females: what determines the extreme sexual size dimorphism in Lamprologus callipterus? Journal of Fish Biology 57 (5):

1254-1265.

Sefc, K. M. (2011): Mating and Parental Care in Lake Tanganyika’s Cichlids. International Journal of Evolutionary Biology, vol. 2011, Article ID 470875, 20 pages, https://doi.org/10.4061/2011/470875.

Taborsky, M. & D. Limberger (1981): Helpers in Fish. Behav. Ecol. Sociobiol., 8: 143-145.

Taborsky, M. (1984): Broodcare helpers in the cichlid fish Lamprologus brichardi: Their costs and benefits. Anim. Behav. 32: 1236-1252.

Taborsky, M. (1994): Sneakers, Satellites, and Helpers: Parasitic and Cooperative Behavior in Fish Reproduction. Adv. Study Behav. 23: 1-100.

Taborsky, M.  (2001): The evolution of bourgeois, parasitic, and cooperative reproductive behaviors in fishes. J. Heredity 92 (2): 100-110.

Über das Magazin: Aquaristik

Aquaristik – Das Magazin für erfolgreiche Süßwasser-Aquarianer
Das Aquaristik Magazin ist das führende Fachmagazin für Liebhaber der Aquaristik. Es begleitet Hobbyisten von den ersten Schritten bis hin zu professionell gestalteten Aquarien. Mit liebevoll gestalteten und gut bebilderten Beiträgen, praxisnahen Tipps und fundiertem Fachwissen ist es sowohl für Einsteiger als auch für Profis geeignet.

Was bietet das Magazin?

  • Ausgezeichnete, didaktische Berichte und brillante Fotos von namhaften Autoren
  • Erstaunliche Fachartikel zu Zierfischen, Reptilien, Pflanzen, Meerwasser, Terraristik, Teichkultur und mehr
  • Praxisnahe Anleitungen, Tipps, Tricks sowie Kleinanzeigen und Neuvorstellungen
  • Jedes Heft widmet sich einem speziellen Titelthema, das in mehreren Beiträgen vertieft wird
  • Erscheinungsweise: 6-mal jährlich

Zielgruppe:
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Weitere Infos:
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Über den Dähne Verlag

Der Dähne Verlag wurde im Jahr 1970 von Karl-Heinz Dähne gegründet und wird heute in zweiter Generation von Marc Dähne geführt. Das Familienunternehmen gliedert sich in zwei Bereiche: Als Branchenfachverlag versorgt es die Baumarkt- und Gartencenter-Branche sowie den Zoofachhandel mit Fachinformationen. Für das Hobby Aquaristik veröffentlicht der Verlag erfolgreiche Hobby-Magazine, Fachzeitschriften und ein umfangreiches Buchprogramm.

Verlagsangebot im Überblick:

  • Rund ein Dutzend Fach- und Publikumszeitschriften
  • Internet-Portale und Online-News-Dienste
  • Umfassende Statistiken, Studien und Handelsdaten
  • Eine große Auswahl an Büchern (über 90 Titel) zu Aquaristik, Garten, Teich- und Terraristik
  • Weitere Publikationen wie Einkaufsführer, Adressverzeichnisse und mehr

Der Verlag ist führend in der Veröffentlichung hochwertiger Fach- und Hobbyliteratur und unterstützt den Austausch und die Weiterbildung in der Aquaristik-Community.

Mehr erfahren: Webseite des Dähne Verlags

Foto: Heiko Blessin

Wolfgang Staeck

Dr. Wolfgang Staeck ist ein hoch angesehener deutscher Ichthyologe, der für seine umfangreiche Forschung an Buntbarschen, insbesondere aus Afrika und Südamerika, bekannt ist. Sein wissenschaftlicher Werdegang begann mit einem Biologiestudium an der Freien Universität Berlin. Nach seinem Abschluss war er als Forschungsassistent und Dozent an der Technischen Universität Berlin tätig.

Im Laufe von über fünf Jahrzehnten hat Dr. Staeck mehr als 140 Publikationen veröffentlicht und sich damit als führender Experte in der Ichthyologie etabliert. Zu seinen bedeutendsten Werken zählen das umfassende Handbuch „Kleine Buntbarsche – Amerikanische Cichliden I“ sowie „Buntbarsche aus Ostafrika“, in denen er die Vielfalt und Ökologie dieser Fische detailliert beschreibt. Zudem schrieb er „Salmler aus Südamerika“, ein Werk über südamerikanische Charakinen, und „Piranhas“, das die Naturgeschichte und Pflege dieser ikonischen Fische behandelt.

Seine wissenschaftlichen Arbeiten führten zur Beschreibung neuer Buntbarsch-Arten wie Geophagus gottwaldi und Geophagus parnaibae, wodurch er maßgeblich zur Taxonomie der Familie Cichlidae beiträgt. Dr. Staecks Fachwissen wurde durch Einladungen zu wissenschaftlichen Expeditionen gewürdigt, darunter die Forschungsreisen des JBL-Teams nach Venezuela im Jahr 2016, Kolumbien im Jahr 2022 sowie die geplante Expedition nach Peru im Jahr 2025.

Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist Dr. Staeck ein aktives Mitglied der Aquaristik-Community. Er teilt sein umfangreiches Wissen durch Interviews, Publikationen und Vorträge, um das Verständnis und den Schutz der Cichliden weltweit zu fördern.

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