Hoher Druck auf Arten mit viel Raumbedarf
Der stetige Schwund an Regenwald erzeugt einen besonders hohen Druck auf die großen Raubtiere und generell auf alle Arten mit viel Raumbedarf. Ihr Lebensraum schrumpft mit dem steigenden Anspruch der Menschen auf Siedlungs- und Nutzflächen. Dadurch kommt es zu immer mehr Begegnungen und zu Konflikten um Ressourcen, zum Beispiel zwischen Elefanten und Menschen. Das führt dazu, dass die angeblichen „Schädlinge“ verfolgt werden.
Goldwäsche: Gift fürs Wasser
Immer akuter wird laut Linsenmair derzeit eine andere Form der Lebensraumvernichtung. Der weltweite Run auf Mineralstoffe wie Gold hat sehr negative Folgen speziell für die Biodiversität von Tieren, die im Wasser leben. Zwar sei die Goldwäsche – zumindest auf dem Papier – in allen Schutzgebieten verboten. Doch manche Staaten lassen sie trotzdem zu. „Damit nehmen sie in Kauf, dass die mit der Goldwäsche einhergehende weiträumige Quecksilbervergiftung der Flüsse zu massivsten Umweltzerstörungen auch in Schutzgebieten führt“, sagt der Tropenbiologe. Für andere industriell-bergbauliche Aktivitäten gelte das in gleicher Weise.
Fleisch aus dem Regenwald
„Eine extrem negative Rolle spielt die professionell organisierte Wilderei, die nicht dem eigenen Kochtopf dient, sondern lukrative Märkte beliefert“, erklärt Linsenmair. Das Wildfleisch lässt sich in Geld umsetzen, doch davon habe ein professioneller Wilderer nie genug, weil der große Gewinn erst beim Vertrieb des Fleisches fernab in den Städten gemacht werde.
„Die Jagd hat in besiedelten Tropenwäldern immer eine Rolle gespielt“, so der Professor. Aber früher habe es weder so gute Schusswaffen wie heute gegeben noch Taschenlampen für die Jagd bei Nacht noch einen praktisch unersättlichen Markt mit einer guten Transport- und Handelsinfrastruktur. Und es gab sehr viel weniger Menschen und damit weniger Esser und weniger Jäger.
Das Verschwinden der großen Raubtiere hat gravierende Folgen: Ohne sie finden wichtige Regulationsprozesse nicht mehr statt. Zum Beispiel können sich dann manche ihrer Beutetiere sehr stark vermehren und problematisch werden – etwa weil sie exzessiv Pflanzensamen vertilgen und damit wichtige Regenerationsprozesse in den Wäldern unterbinden.
Phänomen der leeren Wälder
Professionell organisierte Wilderei und der negative Einfluss ehemaliger Waldgebiete, die zu Nutzflächen umfunktioniert wurden: Das sind die Hauptursachen für das Phänomen der „leeren Wälder“. Dieses wurde laut Linsenmair in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten immer deutlicher, in seiner Allgegenwärtigkeit in den Tropenwald-Schutzgebieten aber nur sehr verzögert erkannt.
„Leere Wälder“ sind botanisch völlig intakt, doch es leben darin kaum noch Säugetiere. Auch größere Vogel- und Reptilienarten fehlen oder sind sehr selten geworden. Und die ehemals äußerst arten- und individuenreichen Fischbestände sind stark ausgedünnt. „Damit droht der Verlust vieler Arten, die in gut kontrollierten Schutzgebieten eine hohe Überlebenschance hätten“, erklärt Linsenmair.
Ohne Regenwaldschutz droht ein Teufelskreis
Fazit der Studie: Erschreckende 50 Prozent der heutigen Schutzgebiete in tropischen Regenwäldern weltweit sind zunehmend gefährdet. „Wir brauchen unbedingt einen sehr viel besseren Schutz der Wälder und eine viel bessere Überwachung vor allem der gefährdeten Arten. Dabei ist Letzteres eine sehr anspruchsvolle Aufgabe“, sagt der Würzburger Professor. Nur dann könne die Menschheit die größten Schatzhäuser der Biodiversität erhalten. Gehen sie verloren, werde das unabsehbare Konsequenzen haben: „Wir gefährden zwar sicher nicht die Existenz der Biosphäre auf unserem Planeten. Fraglich ist aber, ob ihre Überreste uns dann noch dienlich sein werden.“
Linsenmair weiter: „Meine persönliche Meinung ist, dass das ‚use it or lose it‘, das in der Diskussion um das optimale Management der Regenwälder oft als bestes Rezept angeführt wird, nur sehr bedingt gültig ist. Denn die Biosphäre als Produkt der Interaktion von Myriaden von unterschiedlichen Organismen ist kein Luxusgut, das man generell und besonders in schlechten Zeiten ungestraft versilbern kann. Wenn die Regenwaldvernichtung so weitergeht, verlieren wir nicht nur einen großen Teil der Biodiversität, sondern auch Regelmechanismen, die unter anderem für das Weltklima essentiell sind. Hier droht ein Teufelskreis, den wir wohl nicht mehr ganz vermeiden, aber doch noch erheblich abschwächen können. Allerdings zählt hier allmählich jeder Tag.”
“Averting biodiversity collapse in tropical forest protected areas”, William F. Laurance, D. Carolina Useche, Julio Rendeiro, Margareta Kalka, Corey J. A. Bradshaw, et al., Nature online, 25. Juli 2012, doi:10.1038/nature11318
Kontakt
Prof. Dr. Karl Eduard Linsenmair, Lehrstuhl Tierökologie und Tropenbiologie (Zoologie III) im Biozentrum der Universität Würzburg, T (0931) 31-84351, ke_lins@biozentrum.uni-wuerzburg.de
Julius-Maximilians-Universität Würzburg