Faszination Aquaristik: Neocaridina-Taxonomie im Wandel – Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Auswirkungen auf die Garnelenhaltung

Faszination Aquaristik: Neocaridina-Taxonomie im Wandel – Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Auswirkungen auf die Garnelenhaltung
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Die Taxonomie unserer beliebten Zwerggarnelen steht im Mittelpunkt einer aktuellen wissenschaftlichen Diskussion. Eine Studie chinesischer Forscher schlägt vor, bestimmte Arten umzutaufen. Dies wirft die Frage auf, ob wir künftig noch die bekannten Bezeichnungen verwenden sollten.

Das Rostrum ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal in der Gattung Neocaridina. Foto: Werner Klotz
Das Rostrum ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal in der Gattung Neocaridina. Foto: Werner Klotz

Ein neuer (alter) Name für unsere bunten Zwerggarnelen – Müssen wir uns von Neocaridina davidi verabschieden?

Wie in den News von Caridina 2/2025 kurz berichtet, schlugen chinesische Wissenschaftler um Yang und Cui, 2024 in einem Paper vor, die in der Aquaristik beliebten Zwerggarnelen der Gattung Neocaridina mit dem Artnamen Neocaridina denticulata zu belegen.

Taxonomie in Revision

Der Hintergrund dafür ist, dass die Taxonomie der Gattung Neocaridina seit langem in wissenschaftlicher Diskussion steht. Zwar gilt die Stellung der Gattung innerhalb der revisionsbedürftigen Gruppe der Caridina-ähnlichen Garnelenarten als gesichert. Anders als bei anderen von Caridina abgetrennten Gattungen wie Paracaridina oder Parisia und bei anderen Artengruppen stehen alle bisher genetisch untersuchten Arten der Gattung Neocaridina in enger verwandtschaftlicher Beziehung. Die Genetiker sprechen von einer monophyletischen Gattung. 

Die Stellung und Gültigkeit der einzelnen Arten innerhalb der Gattung Neocaridina ist aber umstritten. Klar belegt ist, dass die genetischen Unterschiede zwischen den bisher beschriebenen Neocaridina-Arten deutlich geringer sind als etwa zwischen den einzelnen Arten der Caridina-serrata-Artengruppe, zu der die aquaristisch beliebten Bienen-, Tiger- und Hummelgarnelen zählen. 

Eine verwilderte Neocaridina davidi aus dem Gillbach. Foto: Werner Klotz
Eine verwilderte Neocaridina davidi aus dem Gillbach. Foto: Werner Klotz

Morphologie der Gattung Neocaridina 

Als morphologische Unterscheidungsmerkmale innerhalb der Gattung Neocaridina zählen Länge und Bezahnung des Rostrums, die Längenverhältnisse des ersten Schwimmbeines der Männchen und die bei manchen Arten beobachteten Unterschiede beim Bau der Schreitbeine zwischen männlichen und weiblichen Tieren. Nach den Originalbeschreibungen lassen sich die meisten Arten der Gattung mit diesen Merkmalen mikroskopisch gut auseinanderhalten. Allerdings treten in der Natur immer wieder Populationen auf, die morphologisch als Zwischenformen angesehen werden können: So zeigen etwa in Südchina gesammelte Exemplare das typische lange Rostrum von N. denticulata, aber gleichzeitig einen deutlichen Sexualdimorphismus an den Schreitbeinen, wie er zu N. davidi passen würde.

Solche “Zwischenformen” und die geringen genetischen Unterschiede zwischen den Arten sind für die chinesischen Wissenschaftler ausschlaggebend dafür, Neocaridina denticulata sinensis, N. heteropoda und N. davidi als Synonyme von N. denticulata anzusehen und diesen Namen als gültig zu betrachten.

Neocaridina davidi ist heute fast weltweit verbreitet. Foto: Werner Klotz
Neocaridina davidi ist heute fast weltweit verbreitet. Foto: Werner Klotz

Schwachpunkte der Arbeit

Grundsätzlich sind die Daten dieser Publikation schlüssig und die Schlussfolgerung nachvollziehbar. Die Arbeit hat aber auch einige Schwachstellen: Für die Studie wurden etwa ausschließlich Exemplare von Garnelen verwendet, die aus zwei Bächen nahe des Baiyangdiam-Sees im Osten Chinas stammen. In Museen hinterlegte Typusexemplare der synonymisierten Arten wurden nicht untersucht, ebenso keine Tiere, die aus den Gewässern stammen, aus denen diese Arten ursprünglich beschrieben wurden. Für die genetischen Vergleiche mit anderen Neocaridina wurden Gensequenzen aus Genbanken herangezogen, ohne dass die Herkunft dieser Gensequenzen oder deren taxonomische Zuordnung diskutiert worden wäre. 

Auch fällt auf, dass in den letzten Jahren beschriebene Arten der Gattung Neocaridina, etwa die aus Taiwan stammenden Arten N. fonticulata, N. saccam oder N. ketagelan nicht erwähnt werden, obwohl diese morphologisch sehr ähnlich sind und primär anhand geringer genetischer Abweichungen von C. denticulata als eigenständig beschrieben wurden. Auch diese Arten müssten folglich in Frage gestellt werden.

Die aquaristischen Zuchtformen wurden von Liang der Art N. davidi zugeordnet. Foto: Werner Klotz
Die aquaristischen Zuchtformen wurden von Liang der Art N. davidi zugeordnet. Foto: Werner Klotz

Die in der Aquaristik viel gehandelten Farbzuchten von Neocaridina-Arten wurden vor ca. 20 Jahren der Unterart N. denticulata sinensis zugeordnet. Morphologische Vergleiche mit Typusexemplaren im naturhistorischen Museum von Paris und eine Publikation des chinesischen Crustaceen-Spezialisten Liang führten dazu, die Tiere der Art N. davidi zuzuordnen, die vom Franzosen Bouvier 1904 beschrieben wurde. In den meisten wissenschaftlichen Publikationen wurden die aquaristischen Tiere in den letzten Jahren deshalb als N. davidi bezeichnet. 

Noch kein endgültiges Urteil

Bislang gibt es noch keine veröffentlichte Reaktion anderer Arbeitsgruppen auf die Publikation der chinesischen Wissenschaftler. Ich persönlich bin mit der Bewertung der Publikation noch vorsichtig und werde unsere Tiere zumindest vorerst weiter als Neocaridina davidi bezeichnen.

Die rote Farbform von Neocaridina davidi wird in der Aquaristik viel gehandelt. Foto: Werner Klotz
Die rote Farbform von Neocaridina davidi wird in der Aquaristik viel gehandelt. Foto: Werner Klotz

Der Artikel behandelt die kontroverse Diskussion um die Systematik der Neocaridina-Arten. Die kürzlich veröffentlichte Studie empfiehlt, mehrere Arten als Varianten einer einzigen Art zu sehen. Die Aquaristik nutzt weiterhin die alten Bezeichnungen, bis die Wissenschaft Klarheit schafft.

Die wissenschaftliche Einordnung der Neocaridina-Garnelen ist noch unklar. Die Studie bietet interessante Ansätze, bleibt jedoch umstritten. Derzeit verwenden wir noch die vertrauten Namen, bis eine breite wissenschaftliche Akzeptanz erreicht ist.

Yang, M; Cui, XD; (…); Gan, ZB. (2024). Integrative Taxonomy Reveals New Insights into the Species Validity of the Neocaridina davidiN. denticulataN. heteropoda Complex and Mitogenomic Phylogeny of Caridean Shrimps. CURRENT ISSUES IN MOLECULAR BIOLOGY 46 (11) , pp.12279-12298

Liang, X. (2004). Fauna Sinica. Invertebrata vol. 36. Crustacea Decapoda Atyidae: 1-375. Science Press, Bejing.

Shih, HT; Cai, YX and Chiu, YW. (2019). Neocaridina fonticulata, a new land-locked freshwater shrimp from Hengchun Peninsula, Taiwan (Decapoda, Caridea, Atyidae). ZOOKEYS (817) , pp.11-23

Shih, HT and Cai, Y. (2007). Two new species of the land-locked freshwater shrimps genus, Neocaridina Kubo, 1938 (Decapoda:Caridea: Atyidae), from Taiwan, with notes on speciation on the island. ZOOLOGICAL STUDIES 46 (6) , pp.680-694

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Werner Klotz

Werner Klotz ist ein erfahrener Aquarianer und passionierter Hobbyist, der seit vielen Jahren sein Wissen und seine Leidenschaft für die Aquaristik an die Gemeinschaft weitergibt. Als Experte für Süßwasserarten, insbesondere Schnecken und Garnelen, hat er zahlreiche Fachartikel in renommierten Magazinen wie „Caridina“ und „Aquaristik“ veröffentlicht. Seine langjährige Praxis und seine wissenschaftliche Herangehensweise machen ihn zu einem geschätzten Autor in der Szene. Neben seiner Expertise im Bereich der Aquaristik engagiert sich Werner Klotz auch in diversen Aquaristik-Foren und -Vereinen, um sein Wissen zu teilen und die Aquaristik-Community zu fördern. Seine Arbeiten zeichnen sich durch fundierte Kenntnisse, Praxisnähe und eine klare Vermittlung komplexer Themen aus.

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