Hyphessobrycon saizi GÉRY, 1964 – der Kleine Silbersalmler, seit Jahren inkognito

Hyphessobrycon saizi GÉRY, 1964 – der Kleine Silbersalmler, seit Jahren inkognito
Kleiner Silbersalmler, Hyphessobrycon saizi, Paar (oben Männchen, unten Weibchen), Foto: H. Linke
Kleiner Silbersalmler, Hyphessobrycon saizi,
Paar (oben Männchen, unten Weibchen), Foto: H. Linke

Unter dem Namen Hyphessobrycon eos DURBIN, 1909 wird seit Jahren ein kleiner, silbern schimmernder Salmler gehandelt, der in der Aquarienkunde eine weite Verbreitung gefunden hat. Die Fische werden regelmäßig aus Peru und Kolumbien importiert und sind eigentlich ständig im Angebot der Zoohändler anzutreffen. Um die genaue Artbezeichnung dieser Fische hat sich jedoch bislang noch niemand gekümmert. Wer beschäftigt sich schon mit einem kleinen Salmler, den man für 90 Cent und weniger gewissermaßen als Massenware kaufen kann? Trotzdem ist es, wie immer in der Biologie, wenn man sich einer bestimmten Fragestellung etwas intensiver widmet, und sei sie auf den ersten Blick auch noch so banal – man findet immer wieder etwas Unbekanntes und Neues. Und das, völlig unabhängig davon, welche Beachtung und welchen merkantilen Stellenwert von der menschlichen Gesellschaft diesen Lebewesen eingeräumt werden.
Unscheinbare Fische sind oft biologisch in vielfacher Hinsicht bedeutend interessanter als leuchtend plakativ gefärbte Arten. Als Beispiele mögen hier nur die so genannten Drüsensalmler angeführt werden. Die Silber- bzw. Goldfärbung vieler süd amerikanischer Fische, besonders aber verschiedener Salmlerarten ist ein bereits seit langer Zeit bekanntes Phänomen, das schon für einige Verwirrung unter den Aquarienfreunden gesorgt hat. Seit etwa Anfang der 1960er Jahre wissen wir, dass diese Goldfärbung eine Reaktion der Tiere auf den Befall mit Metacercarien (Larven von Saugwürmern) zurückzuführen ist. Hierbei handelt es sich um bestimmte Entwicklungsstufen (=Larven) von Trematoden (Saugwürmern), die sich in der Haut der Fische einnisten. Die Trematoden durchlaufen während ihrer Individualentwicklung einen komplizierten Zyklus, in dem die Fische meist nur einen Zwischenwirt darstellen. Als eine erste Abwehrreaktion der Fische auf diesen Befall wird gewissermaßen der Parasit zunächst eingekapselt und dann später – als weitere Abwehrreaktion – ein Farbstoff (Guanin) gebildet. Die Guaninkristalle lagern sich um die Zyste herum an und lassen die Fische silbern bzw. golden erscheinen. Häufig sind dann auch kleine, kreisrunde, stark abgegrenzte, schwarze Flecke zu beobachten. Dabei handelt es sich um die eigentlichen, abgekapselten Trematoden (Saugwürmer). Man hatte 1955 einen derartig goldenen Fisch als neue Art, Hemigrammus armstrongi SCHULTZ & AXELROD, 1955, beschrieben, bei dem sich dann später herausstellte, dass es sich tatsächlich nur um einen abnorm gefärbten Kirschenfleckensalmler, Hemigrammus rodwayi DURBIN, 1909 handelte. GÉRY & DELAGE (1963 a, b) untersuchten diese Goldfärbung schließlich näher und entdeckten den oben geschilderten Mechanismus.
Goldfärbung3

Das Phänomen ist in Südamerika weit verbreitet und wurde am Beispiel des Kirschenfleckensalmlers, Hemigrammus rodwayi DURBIN, 1909, des Südamerikanischen Fadensalmlers, Hemigrammus filamentosus ZARSKE, 2011, und des Gelben von Rio, Hyphessobrycon bifasciatus ELLIS, 1911, bereits mehrfach in der aquaristischen Literatur erörtert (z.B. ZARSKE 1988, 1991, 2011). Aber auch der Kleine Kirschflecksalmler, Hypessobrycon socolofi WEITZMANN, 1977 (nicht zu verwechseln mit dem Kirschenfleckensalmler), der sogenannte „Goldanomalus“ und bestimmte Corydoras-Arten verfügen über derartig „krankhafte“ Goldformen. Beim „Goldanomalus“ handelt es sich eigentlich um ein „Artengemisch“, das sich aus Nannostomus digrammus FOWLER, 1914, N. beckfordi GÜNTHER, 1872 und vielleicht noch anderen Arten zusammensetzt, die von derartigen Würmern befallen werden. Auch bei den goldenen Corydoras-Formen dürfte es sich um mehrere Arten handeln. Außer den Verhältnissen beim Kirschenfleckensalmler (Hemigrammus armstrongi – H. rodwayi) wurde das Phänomen jedoch bislang noch niemals genauer untersucht. Im Gegensatz zu den bislang bekannten Arten zeigt der Kleine Silbersalmler aus Peru und Kolumbien aber eine Reihe von Besonderheiten in Bezug auf die pathologische Goldfärbung. Zumindest für Hemigrammus rodwayi, dem Kirschenfleckensalmler, und Hyphessobrycon bifasciatus, dem Gelben von Rio, kann ich das im Vergleich und aus eigener Anschauung mit absoluter Sicherheit sagen. Bei Hyphessobrycon bifasciatus verblassen mit einsetzender Geschlechtsreife zwar die wunderschönen, kräftig roten Flossen der Jungfische, die Goldfärbung bleibt jedoch das gesamte Leben lang erhalten. Die Rotfärbung der Flossen ist in diesem Fall ein Artcharakteristikum, das nicht von den Trematoden beeinflusst wird. Man kann die Rotfärbung also auch bei Jungfischen feststellen, die von grauen, nicht infizierten Elterntieren abstammen. Auch einmal infizierte Kirschenfleckensalmler, Hemigrammus rodwayi, zeigen ihre „pathologische“ Goldfärbung das ganze Leben, während diese bei dem Kleinen Silbersalmler aus Peru und Kolumbien – zumindest unter Aquarienbedingungen – mit der Zeit verschwindet. Außerdem ist diese Färbung mehr silbrig als golden.

 

Kleiner Kirschflecksalmler, Hyphessobrycon soclofi, Foto: Dr. H.-J. Franke
Kleiner Kirschflecksalmler, Hyphessobrycon soclofi, Foto: Dr. H.-J. Franke

In Hinblick auf die Parasiten gibt es nun zwei Möglichkeiten. Mit anderen Worten, die Trematoden sind entweder nicht artspezifisch, was eher unwahrscheinlich ist, oder es gibt mehrere Trematoden-Arten, die die Fische befallen. In der Parasitologie geht man eigentlich davon aus, dass jede Wirtsart auch ihre eigenen, artspezifischen Parasiten hat, die man unter anderem auch für die Artdifferenzierung der Wirte (in diesem Fall also der Fische) nutzen kann. Diesen Aspekt hat in Bezug auf die Silber- bzw. Goldfärbung der Fische wahrscheinlich ebenfalls noch niemand genauer untersucht. Trotzdem ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass wir es hier mit einer Vielzahl von Trematoden-Arten zu tun haben, die die Fische befallen. Dabei scheint es also auch Reaktionen bei den Fischen zu geben, die reversibel sind, wie das Beispiel des Kleinen Silbersalmlers aus Peru und Kolumbien zeigt. Mit anderen Worten: Die als Abwehrreaktion gebildeten Kristalle, ob nun Guanin oder ein anderer Abwehrstoff, können sich zurückbilden, nachdem die Parasiten ihre Entwicklung im Fisch abgeschlossen und dessen Haut wieder verlassen haben. Die Fische scheinen in allen bislang beobachteten Fällen unter diesen Parasiten auch in keiner Weise zu leiden. Sie sind genauso mobil und werden ebenso alt wie unbefallene Tiere. Auch schreiten sie genauso zur Fortpflanzung wie nicht befallene Fische. Viele Züchter waren jedoch ursprünglich sehr enttäuscht, als die Nachzuchten die intensive und durchaus attraktive Goldfärbung vermissen ließen. Das lässt sich einfach dadurch erklären, dass die Fische unter den „sterilen“ Aquarienbedingungen eben nicht infiziert wurden und somit „nur“ ihre relativ unattraktive Normalfärbung zeigen.
Nun musste nur noch die Identität des Kleinen Silbersalmlers ermittelt werden. Bei einem Vergleich der morphologischen Merkmale zeigte sich, dass es sich bei dem Kleinen Silbersalmler um Hyphessobrycon saizi GÉRY, 1964 handelt. Der Sonnensalmler, Hyphessobrycon eos, ist eine Art, die in Guyana beheimatet ist. Sein Name taucht oft in der Aquarienliteratur auf. Tatsächlich ist diese Art jedoch noch wenig bekannt, so dass eine Bearbeitung von frisch gesammeltem Material sehr hilfreich wäre. Sie ist hochrückiger als der Kleine Silbersalmler (Körperhöhe 2,5 bis 2,7 mal in der Körperlänge anstatt 3,0 bis 3,3). Sie verfügt über einen etwas längeren Kopf (3,25 bis 3,33 mal in der Körperlänge anstatt 3,70 bis 3,96) und sie besitzt ferner drei bis vier schmale dreispitzige Zähne in der äußeren Reihe des Praemaxillare anstatt nur zwei. Es sind fünf bis sieben konische bis leicht dreispitzige Zähne im Maxillare vorhanden anstatt zwei bis vier breite dreispitzige Zähne und die Art besitzt eine völlig andere Färbung. Der Fleck auf dem Schwanzstiel ist beim Sonnensalmler zwar auch in der unteren Hälfte des Schwanzstiels angeordnet. Er ist jedoch oval und dehnt sich nicht auf die Schwanzflosse aus. Beim Kleinen Silbersalmler ist der Fleck langgestreckter und erreicht fast die Spitzen der mittleren Schwanzflossenstrahlen. Das sind nur einige der wichtigsten Unterschiede zwischen H. eos und dem Kleinen Silbersalmler. Auch die bislang bekannte Goldform des Kirschenfleckensalmlers, Hemigrammus rodwayi, scheidet aus, obwohl er für Peru als nachgewiesen gilt (ORTEGA et al. 2012). Unterschiede betreffen hier die Beschuppung der Schwanzflossenbasis. Diese ist bei Vertretern der Gattung Hemigrammus beschuppt und bei Arten, die zur Gattung Hyphessobrycon gehören, vollkommen nackt. Der Kleine Silbersalmler verfügt über eine unbeschuppte Basis der Schwanzflosse, gehört also in die Gattung Hyphessobrycon. Wenn man nun die Literatur gründlich studiert und die verfügbaren Daten vergleicht, so kommt man zu dem Schluss, dass der Kleine Silbersalmler Hyphessobrycon saizi GÉRY, 1964 heißen muss. Diese Art wurde aus dem río Manacacias aus dem oberen Río Meta bei Restrepo in Kolumbien beschrieben und ist bislang für Peru noch nicht nachgewiesen worden (ORTEGA et al. 2012). Der Artname leitet sich ab vom Fänger der Typusexemplare dieser Art, Emilio SAITZ. Bislang gibt es nur ein Foto von genau bestimmten Fischen dieser Art von Herbert AXELROD, das ein adultes Paar von Hyphessobrycon saizi mit Goldfärbung zeigt (GÉRY 1963, 1978). 1978 vermutet GÉRY (S. 472), dass es sich bei H. saizi eventuell um die pathologische Goldform von Hyphessobrycon metae EIGENMANN & HENN, 1914 handeln könnte, die vermutlich in dem gleichen verwandtschaftlichen Verhältnis zu H. metae steht wie Hemigrammus armstrongi zu H. rodwayi. Das ist aber nicht so. Die Zeichnung der adulten in Alkohol konservierten Alttiere von H. saizi ähnelt tatsächlich etwas H. metae. In der Lebendfärbung der nicht von Trematoden befallenen Exemplare lassen sich beide Arten jedoch gut unterscheiden. Abgesehen davon, dass bislang von H. metae noch keine Silberbzw. Goldform bekannt ist. Das lässt sich leicht an der abweichenden Färbung erkennen, die nach dem Verschwinden der Goldfärbung beim Kleinen Silbersalmler zum Vorschein kommt. Außerdem entsprechen die morphologischen Merkmale nicht dieser Art. Dabei ist zu bemerken, dass H. metae eine schlecht definierte Art ist. So sind von Hyphessobrycon metae durch TAPHORN (1992) Schuppen auf der Basis der Schwanzflosse beschrieben worden, die eigentlich das Gattungsmerkmal der Gattung Hemigrammus darstellen. Vermutlich gehört also Hyphessobrycon metae in die Gattung Hemigrammus. Das ist eine Frage, die noch näher untersucht werden muss. Aus der Verwandtschaft von H. metae wurde in der letzten Zeit eine Art importiert und vermehrt, die als „Blauroter Peruaner“ verbreitet ist. Die Abbildung in BAENSCH & RIEHL (1997), die Hyphessobrycon saizi zeigen soll, bildet einen nicht näher zu identifizierenden Fisch aus Surinam ab und hat nichts mit dieser Art zu tun. Das erkennt man leicht am keilförmigen Schwanzwurzelfleck, der bei H. saizi nicht vorliegt.

Quelle: Dr. Axel Zarske, Aquaristik Fachmagazin, Ausgabe 229
Literatur:
BAENSCH, H. & R. RIEHL(1997): Aquarienatlas. Bd. 5. Mergus, Melle,1148 pp.
Eigenmann, C. H. (1912): The fresh-water fishes of British Guiana, including a study of the ecological grouping of species and the relation of the fauna of the plateau to that of the lowlands. – Mem. Carnegie Mus. 5 (67), 1‐578, pls.1‐103
Eigenmann, C. H. (1917–1927): The American Characidae. – Mem. Mus. comp. Zool., Harvard College 43 (1-5), 1‐558
GÉRYJ. (1964): Preliminary description of seven new species and two new genera of characoid fishes from the Upper Rio Meta in Colombia. – T. F. H. 13 (4), 25-32, 41-48
GÉRYJ. (1978): Characoids of the World. – Neptune City , 672 pp.
GÉRYJ. & J.DELANGE(1963a): Origine pathologique du stratum argenteum chez certaines variétés phénotypiques de Characidae, les „Brass-Tetras“. – Vie et Milieu 14 (1), 169‐182
GÉRYJ. & J.DELANGE(1963b): The pathological origin of the stratum argenteum in the „Brass Tetra“. – T. F. H. 12 (4), 11, 14‐15, 55, 59‐62
ORTEGA, H., HIDALGO, M., TREVEJO, G., CORREA, M., CORTIJO, A. M., MEZA, V. & J. ESPINO(2012): Lista anotada de los Pesces de Aguas Continentales del Perú: Estado actual del conocimiento, distribución, usos y aspectos de conservación. 2nd edition. –Ministerio del Ambiente, Dirección General de Diversidad Biológica, Mus. Hist. Nat. UNMSM: 56 pp.
SCHULTZ, L. P. & H. R. AXELROD(1955): The golden tetra, a new species of Hemigrammusfrom British Guiana. – Tr. F. H. 3 (3), 4-7
TAPHORN, D. C. (1992): The characiform fishes of the Apure River drainage, Venezuela. Biollania Edición Especial: 4 – Monogr. Cient. Mus. Cienc. Nat. UNELLEZ, 1-537
ZARSKE, A. (1988): Ein hübscher Salmlerbeifang: Hemigrammus levisDURBIN, 1908, der Silberstreifentetra. – Aquarien Terrarien 35 (2), 46-49
ZARSKE, A. (1991): Odontostilbe piaba (LÜTKEN, 1874) oder Odontostilbe kriegi (SCHINDLER, 1937)? – DATZ 44 (11), 704- 705
ZARSKE, A. (2011): Hemigrammus filamentosusspec. nov. – der Südamerikanische Fadensalmler, ein neuer Salmler (Teleostei: Characiformes: Characidae) aus dem Araguaya-Becken in Brasilien. – Vertebrate Zoology 61 (1), 3-12
ZARSKE, A. (2012): Der Sonnensalmler, Hyphessobrycon eos DURBIN,1909. – Aquaristik-Fachmagazin 45 (227), 92

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