Die Hechtbuntbarsche oder Kammbuntbarsche (Crenicichla) stellen die artenreichste Gattung der südamerikanischen Buntbarsche dar. 129 wissenschaftliche Bezeichnungen werden ihr zugeordnet, 85 Arten gelten als gültig beschrieben, die Aquarianer kennen jedoch noch erheblich mehr Arten, die wissenschaftlich noch nicht beschrieben sind – oder, mit anderen Worten, offiziell gar nicht existieren.
Zu letzteren zählt eine seltsame Art, die bisher nur aus dem Rio Iguassu in Argentinien bekannt ist und die im internationalen Tierhandel – sofern man im diesem Falle, wo es um deutlich weniger als 50 Exemplare pro Jahr weltweit geht, überhaupt von Handel reden will – als Crenicichla sp. ‘Botox’ bezeichnet wird. Diese Bezeichnung wurde wegen der extrem aufgetriebenen Lippen der Art gewählt, die die Aquarianer an Menschen erinnert, die um vermeintlicher Schönheitsideale willen ihren Körper und ganz besonders ihr Gesicht (damit auch die Lippen) durch Chemikalien verändern lassen, u.a. durch eines der stärksten Gifte, die die Natur je entwickelt hat, das Gift des Bakteriums Clostridium botulinum, das Botulinum-Toxin oder kurz: Botox.
Aufgetriebene Lippen sind bei Buntbarschen an sich nichts Besonderes. Es gibt sie bei zahlreichen, keineswegs nahe miteinander verwandten Arten. In Mittelamerika schwimmt Amphilophus labiatus, ein Verwandter der so genannten Midas-Cichliden, die nach dem mythischen König Midas ihren Populärnamen erhielten. König Midas hatte einen Wunsch frei und wünschte sich, dass alles, was er berührte, zu Gold werden sollte. Sein Wunsch wurde erfüllte und er verhungerte beinahe… Die Midas-Cichliden beginnen ihr Leben als unscheinbare, grau-blau gefärbte Buntbarsche und färben sich mit zunehmendem Alter in strahlendes Goldgelb um, daher der Name.
In Ostafrika gibt es Haplochromis labiatus in den Seen Edward und George undim Tanganjikasee lebt Lobochilotes labiatus, im Malawisee Melanochromis labrosus, um nur einige zu nennen. Auch in der Gattung Crenicichla kennt man bereits einen Wulstlippenbuntbarsch, nämlich Crenicichla tendybaguassu aus dem Uruguay-Fluss (Argentinien, Brasilien und Uruguay), also der unmittelbaren Nachbarschaft des ‘Botox’.
Allen gemeinsam ist, dass kein Mensch eine Ahnung hat, wozu die aufgetriebenen Lippen gut sein sollen. Thesen gibt es viele, zur Theorie weiterentwickelt oder gar bewiesen werden konnte bislang keine davon. Es gehört zu den völlig normalen Kampfhandlungen bei Buntbarschen, miteinander Maulzerren zu praktizieren. Das ist in etwa vergleichbar dem Fingerhakeln beim Menschen: manchmal schmerzhaft, aber grundsätzlich harmlos, wenngleich unbedingt ernst gemeint. Allerdings endet das Maulzerren zwar häufig in zerfransten, niemals aber aufgetriebenen Lippen. Und so kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass die zwei Crenicichla sp. ‘Botox’, die Aquarium Glaser kürzlich aus Argentinien nach Deutschland importieren konnte, zwar offensichtlich eine seltsame Laune der Natur darstellten, aber eine, die wir Menschen bislang nur achselzuckend – und damit ohne Verständnis – registrieren können.
Quelle: Frank Schäfer & Aqualog
Toller Beitrag!!!