Das erste Aquarienbuch von 1856: Bilder & Ausschnitte

Das erste Aquarienbuch von 1856: Bilder & Ausschnitte
Titelblatt des ersten deutschsprachigen Aquarienbuches
Titelblatt des ersten deutschsprachigen Aquarienbuches

Vor einiger Zeit (AF 211) publizierte der durch seine Nachforschungen über erste vivaristische Bücher bekannt gewordene Berliner Autor Werner RIECK über den Wiederfund des allerersten Aquarienbuches: MÜLLER, L. (1856): „Aquarium. Belehrung und Anleitung, solche anzulegen und zu unterhalten.“ Die folgenden spannenden Bilder und Erläuterungen geben einen Einblick in dessen Inhalt:

Gleich zu Anfang bewirbt der Autor das Aquarium als neuen Blickpunkt eines Zimmers, und dabei auch durchaus dessen eines Frauenzimmers, denn er verkündet schon auf der ersten Seite familieneinvernehmlich: „Denen, deren Wunsch es ist, bekannter mit den Bewohnern unserer Teiche und Bäche zu werden, und hauptsächlich unseren mit eigenthümlichem Scharfblick ausgestatteten, beobachtenden Damen wird dieses Studium einen anziehenden und immer neuen Stoff zum Nachdenken und Bewundern darbieten; denn, indem sie das Aquarium beobachten, schließt sich ihnen allmählich und immer klarer eine neue, vorher noch nicht gekannte Welt auf.“ Das betrifft natürlich die Herren ebenso, nur meinte der Autor wohl, dass er um deren Gunst für die wassergefüllte Neuerung im Wohnbereich nicht buhlen müsste. Aber es war damals tatsächlich eine völlig neue Sichtweise, Wasserbewohner nicht von oben, sondern seitlich durch Glas betrachten zu können. Und selbst die schon tausend Jahre früher zum dekorativen Teichfisch domestizierten Goldfische waren in China so gezüchtet worden, dass ihre beste optische Wirkung für den draufblickenden Betrachter erzielt wurde.

Sehr treffend erscheint auch heute noch die erste Definition des Begriffs „Aquarium“ aus der Feder von MÜLLER: „Ein Aquarium kann für nichts mehr oder weniger angesehen werden, als für einen Wasserbehälter, welcher für die Aufnahme lebender, interressanter Wasserthiere so wie für deren Aufenthalt bestimmt ist; derselbe ist gewöhnlich von länglicher, obwohl auch von runder Gestalt, und von Glas, damit die Lebensweise, die Gestalt und die Bewegungen der Thierchen, welche er enthält, deutlich und allseitig gesehen werden können.“

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Innentitel des ersten Aquarienbuches von MÜLLER

Und MÜLLER war 1856 bereits der Begründer der Nano-Aquaristik: „Der geringste Umfang des Bassins soll nicht unter 12 Zoll Durchmesser und 12 Zoll Tiefe betragen. Größere mögen vorgezogen werden, doch sollte dann immer dasselbe Verhältnis der Dimensionen beachtet werden.“

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Werbung in Aquarienbüchern gab es schon damals

Und dann geht es im wahrsten Sinne des Wortes ans Eingemachte, also das zuvor Eingebrachte, ganz im Sinne Diana WALSTADs, denn auch sie hatte diese Dinge nicht neu erfunden (WALSTAD 2005): „…nimmt man drei Nösel voll Feld- oder Gartenerde und eine Hand voll Holzkohlenstaub, und streut beides hinein, den  Holzkohlenstaub zuerst und darauf die Erde, doch so, dass ersterer von der Erde bedeckt wird. In diesen Boden pflanzt man die Gewächse, welche aber alle zum Geschlecht der Wasserpflanzen gehören müssen, ganz auf dieselbe Weise, wie es in einem Garten zu geschehen pflegt.“ Und auch der erste Aquasacper war MÜLLER, wenn auch in einer Weise, wie wir sie heute nicht mehr so gut vertreten würden: „Einige Stückchen Korallen oder Kalktuff, die beide käuflich zu haben sind, können zur Ausschmückung des Ganzen so angebracht werden, daß sie nach Art untermeerischer Felsenpartien und Klippen sich auf dem Boden ausbreiten und in grotesken Umrissen die Oberfläche des Wasserspiegels überragen.“

Doch auch die praktische Seite des bei dem vorgeschlagenen Substrat problematischen Einfüllen des Wassers erläutert der Autor treffend: „Ist nun der Bau soweit vollendet, so feuchtet man die Erde mit einem Nösel Wasser vorsichtig an, damit die eingepflanzten Gewächse Wurzel schlagen können und dieses wiederholt man drei oder vier Tage hintereinander, bevor man das Aquarium mit Wasser füllt und die lebenden Geschöpfe hineinsetzt. Dann gießt man vorsichtig und durch das Sieb eine Gießkanne so viel Wasser hinein, daß es bis zu zwei oder drei Zoll Entfernung die Höhe des Gefäßes erreicht. Hat das Wasser sich nun geläutert, so bringt man die Thierchen hinein…“ Das entspricht wegen der Substratzusammensetzung (Holzkohleanteil) den Empfehlungen namhafter Hersteller von Wasseraufbereitern, die das Warten bis zum Einsetzen der Tiere verkürzen helfen wollen. Alle diese Methoden, heute freilich industriell ausgereift, kannte man also schon damals.

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Eine „Schneckenseite“ des Buches

Wenn MÜLLER auf die Aquarienbewohner zu sprechen kommt, wird es problematisch, denn das, was er da schreibt, war durch den damaligen Wissenstand bereits überholt. Aber es gab ja keine Widersacher, die solche Aussagen in Zweifel zogen. Es wird darüber fabuliert, dass sich in kühl fließendem Wasser aufgewachsene Goldfische länger im Aquarium hielten als solche, die aus wärmeren Teichen stammten. Man solle ihnen keine Brotkrumen reichen, sondern für sie gedämpftes Rindfleisch in schmale Streifen schneiden, zur Brutzeit solle man Weizenkörner zufüttern (wie das „Kraftfutter“ in der Landwirtschaft?). Zwei Wasserschnecken je Aquarium würden helfen, Fischkrankheiten abzuwenden. Richtig empfiehlt er mehrmals wöchentlich einen Wasserwechsel – vor allem bei warmer Witterung, bei bepflanzten Aquarien nicht ganz so häufig. Für den Ablauf des Altwassers empfiehlt der Autor einen Heber, für den er eine Bauanleitung gibt, der Vorläufer des heutigen Schlammhebers. Außer dem Golfisch empfiehlt er weitere Arten: „…der Goldkarpfen, die Elritze, der Barsch, der Weißfisch, der kleine Gründling, der Kaulkopf, der Flußkarpfen, der Strömling u.a.m.“

Das Wasserpflanzen-Kapitel legt wiederum ein paar alte Weisheiten offen, die wir heute mittels moderner CO2- Anlagen längst viel besser beherrschen als damals: „Vegetabilisches Leben kann da sich nicht entwickeln, wo Kohlenstoff nicht vorhanden ist; Kohlenstoff aber macht einen Hauptbestandtheil der luftförmigen Kohlensäure aus, die von den im Wasser lebenden Thieren ausgeathmet wird. Die Wasserpflanzen saugen diese Luft, da sie für dieselben Lebensluft ist, nun durch ihre Wurzeln, Stengel und Blätter auf und scheiden kraft der in ihnen wohnenden Lebensthätigkeit aus der Kohlensäure den Kohlenstoff aus und brauchen ihn zu ihrem organischen Ausbau. Die Kohlensäure enthält aber außer diesem Kohlenstoff als zweiten Bestandtheil noch Sauerstoff (Lebensluft für die Wasserthiere); merkwürdiger Weise behalten sie denselben nicht, sondern geben ihn an’s Wasser zurück, damit er den Fischen, Amphibien und Insecten zu Gute komme; dieser Lebensprozeß in den Pflanzen geht am lebhaftesten unter Einwirkung des Tageslichtes vor sich, am besten, wenn die Sonnenstrahlen direkt auf die Pflanzen scheinen; während also die Pflanzen die Kohlensäure, welche das Wasser des Aquariums alsbald vergiften würde, aus dem Wasser entfernen, versehen sie andererseits dasselbe mit unentbehrlicher Lebensluft, und nützen dergestalt den Wasserbewohnern auf doppelte Art.“

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Ausführlich geht MÜLLER auf die Bepflanzung und ihre biologischen Vorteile für das Aquarium ein

Ein abschließendes Kapitel fasst Pflegehinweise zusammen und gibt mehr oder weniger zutreffende Ratschläge für die Aquarienbetreuung und -beobachtung. Von hier stammt auch die unsägliche Auffassung, man solle den Behälter ab und zu komplett leeren und wieder neu einrichten. Diese „Weisheit“ hat analog der Angst vor dem Gift der Tiere bis heute überdauert und zeugt nur davon, wie wenig Verständnis trotz aller Bio-Produkterie von biologischen Zusammenhängen gewusst wird: „Wird es nothwendig, das Aquarium zu reinigen und das gesammte Wasser durch frisches zu ersetzen, so müssen sämmtliche Thiere aus demselben entfernt und mittlerweile in ein anderes Gefäß gethan werden; ein kleines aus Mousselin gearbeitetes Handnetz leistet hierbei die besten Dienste; mit der Hand die Thierchen, namentlich die Fische anzupassen, ist in keinem Falle zu empfehlen. Sobald man das Aquarium wieder in den Stand gesetzt hat, was beiläufig bemerkt, so schnell als möglich geschehen muß, so setzt man die Fische, Amphibien und Insecten unter Anwendung des Netzes in eben derselben Weise wieder hinein, wie man sie herausgenommen hat, und froh des wiedererlangten, liebgewordenen Aufenthaltes, wird man beobachten, wie sämmtliche Thiere in dem gereinigten Bassin lustig und bunt durcheinander sich herumtummeln. Die Grotte oder das Felsenwerk braucht nicht mehr als ein- oder zweimal im Jahre gereinigt zu werden. … Eine theilweise Bedeckung des Wassersbehälters dürfte nicht überflüssig sein, wenn man die Möglichkeit in’s Auge faßt, daß ein oder das andere Thier aus dem Wasser herausschnellen, auf den Boden fallen und daselbst seinen Tod finden könnte. Ein Stück Mousselin oder durchstochene Papierbogen oder auch ein inwendig am Rande des Wasserbehälters befestigter, einen halben Zoll breiter Zinkrand oder eine Glasbedeckung (s. oben) wird hinreichende Sicherheit gewähren.“ Und so sind wir also rundherum sicher, dass dieses früheste aller Aquarienbücher neben den vielen Anregungen und erstmals publizierten Anleitungen bei seinen Lesern so manche Neugier und vor allem den Ansporn inspirierte, selbst zu experimentieren und vielleicht manches besser zu machen. Unser heutiger Wissenstand zeugt davon.

Literatur:

BECHSTEIN, J. M. (1797):Naturgeschichte der Stubenthiere, Amphibien, Frösche, Insecten, Würmer (Bd. 2). – Gotha
HERRMANN, H.-J. (1990): J. M. BECHSTEIN und die moderne Vivaristik. – in: Zur Würdigung der wissenschaftlichen Leistungen von J. M. Bechstein. Tagungsbericht des Kolloquiums vom 19.11.1988 in dreißigacker bei Meiningen
MÜLLER, L. (1856): Aquarium. Belehrung und Anleitung solche anzulegen und zu unterhalten. Nebst Beschreibung der vorzüglichen Thiere, Pflanzen etc. welche sich für dieses eignen. – Leipzig, Verlag von Ernst Schäfer
RIECK, W. & W. MALECK (2010):Und es gibt es doch noch, das längst verschollen geglaubte, erste deutschsprachige Aquarienbuch. – Aquaristik-Fachmagazin 42 (211), 120
ROßMÄßLER, E. A. (1857): Das Süßwasseraquarium – Leipzig, Hermann Mendelsohn, 88pp.
WALSTAD, D. (2005): Das bepflanzte Aquarium. – Tetra Verlag, Berlin-Velten, 224 pp.

Quelle:

Dr. Hans-Joachim Herrmann, Aquaristik Fachmagazin, Ausgabe 227

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Matthias

Ein schöner Beitrag. Schade nur, dass es keine echten Aufnahmen von Aquarien aus dieser Zeit gibt. Aber der Eindruck entsteht bereits durch solche Geschichten.

Matthias

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